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7 Gründe, warum ich dir Selbstversorgung NICHT empfehlen würde


Planst du voller Freude, im nächsten Jahr mit Selbstversorgung zu starten? Dann möchte ich deiner Vorfreude aus vollem Herzen etwas Einhalt gebieten. Du kannst es kaum erwarten, deinen neuen Lebensabschnitt zu betreten? Dann kommt hier mein Plädoyer, warum du es gar nicht damit anfangen solltest. Viel Spass.


Grund 1: Du musst aus deiner Komfortzone raus


Um als Selbstversorger erfolgreich sein zu können, musst du dich eigenständig weiterbilden. Du musst experimentieren, wirst versagen und viel Zeit und sogar Geld in diesem Prozess brauchen. Ich sage nicht verlieren, denn das, was du dabei lernst, kann man mit Geld nicht kaufen.

Selbstversorgung ist unglaublich viel Handarbeit. Lebst du in Mitteleuropa, dann gibt es viele nasse, kalte und graue Tage, an denen es ungemütlich ist, nach draussen zu gehen


Grund 2: Du musst immer funktionieren.


Läuft dein Versorgersystem, hast du schon viel Zeit hineingesteckt und hast sogar noch Tiere, dann musst du funktionieren, um alles am Laufen zu halten. Du bist Kern, Direktor und Motor deines Systems. Das kann schnell zum Damoklesschwert werden, das ständig über dir schwebt. Hast du ein Haus, das abbezahlt ist, Rente oder lebst in einem Land, in dem Zugang zu eigenem Grund einfach und günstig ist, dann kannst du auch eine Hobbyselbstversorgung mit z.B. Gemüse machen.


Grund 3: Du bist an deinen Hof/Garten gebunden


Wenn du Selbstversorgung jenseits von Gemüse betreibst, dann gibt es unglaublich viele Arbeiten, die ständig erledigt werden müssen. Holz machen, nach den Tieren schauen, Schädlingsmanagement, Reparaturen, noch mehr Reparaturen, Einmachen, Konservieren, Lagerwirtschaft, Hauswirtschaft und ein Einkommen hast du auch noch nicht; hatte ich bereits Reparaturen erwähnt, und dass immer etwas kaputtgeht? Du wirst buchstäblich zu deinem Hof und Garten.

Arbeiten, die du nicht immer und immer wieder tun willst. Arbeiten, die dir erst dann auffallen, wenn du bereits ein Jahr lang Selbstversorgung betrieben hast. Da gibt es nichts hinzuzufügen.


Grund 4: Kein oder nur wenig Einkommen


Kannst du neben deiner Selbstversorgung nicht mehr für einen Lohn arbeiten (oder nur noch deutlich reduziert), dann musst du zusätzlich Dinge anbauen, die du dann wieder verkaufen kannst. Dazu kommt dann aber auch Infrastruktur zum Lagern, der Gang zum Markt, die Kundenpflege, das Marketing und so viele weitere Aufgaben. Lebensmittel sind heute fast nichts mehr wert und du brauchst Menschen, die den Wert deiner, von Hand angebauten Produkte erkennen. Bist du in der falschen Region, dann kann es fast unmöglich sein, genug Umsatz zu machen, um für die Kosten von Miete, Pacht oder Reparaturen (habe ich das schon gesagt?) aufzukommen. Du kannst natürlich auch für den Bedarf von ein paar Jahren ansparen und dann Selbstversorgung machen. Hast du gross geerbt oder beziehst sogar Geld vom Staat, wie einige "Selbstversorger", die ich kenne, dann ist das natürlich eine andere Sache.


Ich sage nicht, es ist unmöglich. Leute wie Curtis Stone oder einige YouTuber haben es geschafft, mit ihrer Selbstversorgung einen Einkommensstrom aufzubauen. Doch es ist verdammt viel Arbeit. Du müsstest den Grad deiner Selbstversorgung realistisch anpassen und bist kein reiner Selbstversorger mehr. Die Selbstversorgerpolizei ist da äusserst strickt!


Grund 5: Immer das Selbe


Im Vergleich zu so manchem Job ist Selbstversorgung vielleicht sehr abwechslungsreich. Grundsätzlich sind es aber immer die gleichen Arbeitsabläufe. Die Bedingungen im Garten, im Wald und auf dem Feld ändern sich zwar Jahr für Jahr, aber das Säen, Pflanzen, Pflegen und Ernten ist immer das Gleiche. Bist du wirklich der Typ dafür? Ja, dann kannst du einen Punkt weitergehen.


Grund 6: Umstellung der Ernährung und Lebensweise


Es ist äusserst schwierig die Bedingungen auf dem Beet so herzurichten, dass Döner, Dubai-Schokolade und Hamburger richtig wachsen und gedeihen. Auch Tomaten im Winter werden schwierig sein. Eine smartphone- und laptoptragende Baumsorte zu finden, ist beim aktuell mickrigen Angebot in den Baumschulen fast unmöglich. Auch der Getreideanbau für das Weissmehl-Croissant ist im Kleinen gar nicht so einfach. Da geht kaum ein Weg an der guten, alten Kartoffel vorbei.


Kurzum. Du musst deinen Lebensstil, deine Ernährung und deinen Medienkonsum ändern. Du bist mehr der Kälte, der Hitze, der Sonne und auch den Mücken ausgesetzt. Dein Hintern wird knackiger vom vielen, in der Hocke-Gärtnern, du ernährst dich nicht nur von Industrienahrung, sondern von Dingen, die auch mal Bitterstoffe drin haben, und dein Arzt wird dich vermissen, weil du ihn kaum noch besuchen kommst. Deine Blutwerte werden sich stark verbessern, du wirst klarer im Kopf und plötzlich kannst du kaum noch öffentliche Medien schauen. Willst du das alles?


Grund 7: Soziale Isolation. Du wirst alle in deiner Umgebung mit deinen Karottengeschichten nerven

Was für dich spannend und erzählenswert erscheint, weil du in der Selbstversorgung voll drinsteckst, wird sich, für deine Nichtselbstversorgerfreunde und -familie wie immer das gleiche Gelaber anhören. Karotte hier, Fenchel da, eine Farbvariation an dieser Hühnerrasse und Saatgut dort. Blablabla. Nur du verstehst die Faszination und begibst dich in Gefahr, andere zu nerven und dass sie sich von dir abwenden. Dann kommst du noch mit der irrwitzigen Idee um die Ecke, dass natürliche, lebendige Nahrung sogar Zivilisationskrankheiten wieder umkehren kann, und schwups bist du der Aluhutträger wider Willen am Familienweihnachtsessen mit viel Fett, Zucker und antibiotikareichem Fleisch aus Massentierhaltung.


Überlege also gut, was du tust! Ich habe dich gewarnt.

 
 
 

3 Kommentare


Edith
09. Dez.

Wunderbar beschrieben, lieber Joscha. Toll dass Du Dir die Zeit für die Informative Darstellung nimmst.

Und gerade deswegen ist es für junge Leute interessant, wenigstens einen Teil selbst anzubauen. Das Interesse an mehr kommt mit dem Erfolg (der Ernte) und wird dadurch immer schöner.

Leider bin ich zu alt, um noch anzufangen. Aber ein paar Tomaten und Bohnen habe ich dieses Jahr in meinem Garten ernten können. Schmeckt einfach viel besser.

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simon
08. Dez.

👍😀💪

stimmt total.


wer es wirklich will: für den wird es sich schon lohnen...

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Lebendes
07. Dez.

Ein befreiendes Gefühl, diese grundehrlichen und oft vergessenen, unromantischen Seiten dieser Art zu leben in Worte gefasst vor mir zu sehen. Es gibt einem viel aber es verlangt auch viel von einem. Es ist die Erfahrungen wert, auch die schwierigen. Selbstversorgung macht einen stark und gleichzeitig weich, weil man sich vielleicht nach einer Weile eingestehen darf, dass man sich nicht selbst versorgen muss und dass das auch gut sein kann - einfach leben zu dürfen.

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